Dehnbare Leiterplatten

„Conformable Electronics“ ist das aktuelle Schlagwort, wenn es um dynamisch verformbare, dehnbare, strukturelle und 3-dimensionale Elektronik geht. Hiermit kann ein breites und zunehmend wachsendes Anwendungsfeld von Medizintechnik, Smart Textiles, IoT, Industrie 4.0, Automotive und Luftfahrt bis hin zu Consumer-Elektronik bedient werden.
Durch den Einsatz von elastischen bzw. dehnbaren Leiterplatten als eine Untergruppe der Conformable Electronics erschließen sich völlig neue Anwendungsbereiche und Lösungsmöglichkeiten für elektronische Systeme und Baugruppen. Typische Applikationen sind daher u.a. intelligente Pflaster/Bandagen, Smart Textiles und Wearables.
Es entstehen hochflexible, dehnbare und anpassbare Schaltungen auf der Basis elastischer Materialien, die hochdynamische Verformungen, angepasste Komponentenmontagen und -verkapselungen sowie eine Lamination auf textile Materialien mit nachfolgender textiler Weiterverarbeitung ermöglichen.

Basismaterial und Eigenschaften

Herstellungsverfahren

Ausführungsvarianten

Design-Hinweise

Bestückung und Weiterverarbeitung

Anwendungsbeispiele

Zusammenfassung und Ausblick


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Basismaterial und Eigenschaften
Im Gegensatz zum aus der Flex/Starrflex-Technologie bekannten und etablierten Polyimid, ist die Materialbasis dieses Produktes eine hochelastische thermoplastische Polyurethan-(TPU)-Folie, auf die Kupferfolien laminiert werden. Das ohne Einsatz von Weichmachern hergestellte und damit biologisch abbaubare thermoplastische PU ist in verschiedensten Modifikationen von hart über weich bis hin zu elastisch verfügbar und kommt in vielen Bereichen zum Einsatz: in Matratzen, Schuhsohlen, in Schläuchen und Dichtungen, als Baustoff oder auch als Lederimitat für Möbel, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
Für die Anwendung als dehnbares Leiterplattensubstrat kommt eine hochelastische Folie aus Multiblock-Copolymer mit harten und weichen Segmenten zum Einsatz. Die bei CONTAG verarbeitete Standarddicke beträgt 0,10mm, andere Dicken zwischen 0,05mm – 1,00mm können auf Anfrage angeboten werden.

Eigenschaft  Wert  Eigenschaft  Wert  
Dichte  1,15 g/cmł  Thermische Ausdehnung  ca. 200ppm/K  
Härte  87 Shore A  Feuchteaufnahme  ca. 0,6%  
Erweichungsbereich  155 – 170°C  Wärmeleitfähigkeit  ca. 0,2W/m*K  
Bruchspannung  60 MPa  Dielektrizitätskonstante εr  4,4 (10MHz); 3,2 (1GHz)  
Spannung bei 50% Bruchdehnung  6-7 MPa  Verlustfaktor tanδ  ca. 0,08  
Bruchdehnung  550%  Durchschlagsfestigkeit  >7,5kV/100µm  

Tab.: Physikalische und elektrische Eigenschaften des Materials


Weitere allgemeine Eigenschaften:

  • Chemisch stabil gegenüber Ölen, Ozon, Teer, vielen Lösemitteln und verdünnten Säuren
  • Hohe Dichtheit gegen flüssige Medien bei gleichzeitig hoher Dampfdurchlässigkeit
  • Biokompatibel
  • Hydrolyse- und mikrobenbeständig
  • Hohe UV- und Witterungsbeständigkeit
  • Sehr gute Schweißbarkeit und Thermoformbarkeit
  • Verkleb-, bedruck-, hinterspritz- und hinterschäumbar

Da auf dieses dielektrische Grundmaterial die Kupferfolien bei CONTAG laminiert und strukturiert werden, kann die finale Kupferdicke zwischen 5-70µm gewählt werden. Die erreichte Haftfestigkeit bzw. Abzugskraft der aufgebrachten Kupferfolie liegt im Bereich von 3N/mm und damit deutlich höher als in der relevanten IPC-Leiterplattennorm gefordert (>1N/mm).
Das aufgebrachte elektrische Layout in Form der Kupferstrukturen beeinflusst die mechanischen Eigenschaften der finalen Schaltung erheblich. Insbesondere die Bruchdehnung eines reinen TPU-Materials kann dann natürlich nicht mehr erreicht werden. Je nach Design der Leiterzüge im gedehnten Bereich, die als Mäander oder sog. Horseshoes ausgeführt werden, sind einmalige Dehnungen bis zu 50% und wiederholbare Dehnungen bis zu 30% möglich.



Herstellungsverfahren

Ausgangsbasis für die verschiedensten Aufbau- und Ausführungsvarianten ist eine ein- oder doppelseitig kupfer-beschichtete TPU-Folie, die nachfolgend mit den bekannten Grundprozessen einer PCB-Fertigung wie Fotodruck, Ätzen, etc. weiter verarbeitet wird. Dabei müssen die Parameter bei den Einzelprozessen auf die spezifischen Besonderheiten des Materials angepasst werden. Technologische Besonderheiten ergeben sich insbesondere aufgrund des hohen thermischen Ausdehnungskoeffizienten und der mechanischen Beschaffenheit des Materials.
Je nach Ausführung und Anwendungsfall können sich optional div. Folgeprozesse anschließen, u.a.:
  • Ausschneiden der Nutzen bzw. Einzelleiterplatten
  • Partielle Verstärkungen aufbringen
  • Bauelemente bestücken, ggf. Verkapseln
  • Auf andere Träger laminieren (Textilien, Polycarbonat, o.ä.)
  • Tiefziehen


Ausführungsvarianten
Auf der Basis strukturierter TPU-Lagen lassen sich neben dem Standard, einseitigen dehnbaren Schaltungen, auch zwei- und höherlagige durchkontaktierte Schaltungen realisieren. Dabei ist zu beachten, dass die Dehnbarkeit mit steigender Dicke deutlich abnimmt.
Auch starr-dehnbare Aufbauten in Anlehnung an die bekannten starr-flexiblen Leiterplatten sind möglich, wobei das bekannte Polyimid dann durch eine TPU-Lage ersetzt wird.

1-seitig mit Verstärkung

2-seitig durchkontaktiert

2-seitig Starr-Stretch


Bezeichnung  Durchkontaktiert  Lagenzahl stretch  Lagenzahl starr  Verstärkung  
1-seitig stretch  nein  1  ---  optional  
2-seitig stretch  möglich  2  ---  optional  
starr-stretch  ja  1  1-n  ja  

Tab.: Aufbauvarianten dehnbarer und starr-dehnbarer Schaltungen


Rein dehnbare Schaltungen müssen u. U. partiell verstärkt werden, z.B. in den Stecker – oder Bestückungsbereichen. Hierzu können Folien aus Polyimid oder Polyester, aber auch FR4-Teile verwendet werden.
Als Endoberflächen können prinzipiell alle gängigen chem. Oberflächenfinishs wie Nickel/Gold (ENIG), Nickel/Palladium/Gold (ENEPIG), Zinn (ISn), Silber (IAg), Silber/Gold (ISIG) oder Palladium/Gold (EPIG) genutzt werden, partiell oder vollflächig. Oberflächen mit Nickelschichten dürfen aufgrund der Sprödheit vom Nickel nach dem Aufbringen einer strukturierten Lötstopplack/TPU-Coverlayerlage nur partiell abgeschieden werden.



Design-Hinweise
Grundsätzlich gelten für das elektrische Design vergleichbare Vorgaben wie bei flexiblen Schaltungen. Darüber hinaus müssen die Leiterzüge im dehnbaren Bereich als Mäander ausgeführt werden, um die Längenänderung einer möglichen Dehnung im Leiterzug abzufangen. Hierzu bieten sich folgende Geometrien an:


Geometrische Parameter der Horseshoes-/Wellengeometrien sind Radien, Öffnungswinkel (Öffnungswinkel 0° = Halbkreis) sowie die Leiterbahnbreite. Die max. mögliche einmalige und wiederholbare Dehnung liegt bei ca. 50% bzw. ca. 30%, abhängig vom konkreten Layout.

Parameter  Wert  
Materialdicke  100µm (Standard)  
Deckfolie  TPU  
Lötstopp  Partiell  
Line/Space min  ≥100µm  
Kupferdicke  9 -70µm  
Radius R  ≥125µm  
Öffnungswinkel W  -45° bis +45°  

Tab.: Design-Empfehlungen



Bestückung und Weiterverarbeitung
Aufgrund der Erweichungstemperatur des TPU-Materials beginnend bei ca. 155°C muss ein niedrig schmelzendes Lot auf der Basis einer SnBi- bzw. SnBiAg-Legierung verwendet werden. Dafür bietet sich beispielsweise das Lot Indalloy 282 an, welches einen Schmelzpunkt von ca. 140°C aufweist. Der Lotauftrag erfolgt über Siebdruck.
Aber auch Leitkleben und Crimpen sind erprobte und bewährte Verbindungstechnologien. Für das Crimpen von Steckerkontakten ist zu beachten, dass die Crimpkontakte verstärkt werden, z.B. durch partiell aufgebrachte Polyimid- oder FR4-Bereiche.
Die bestückten Bauelemente lassen sich bei Bedarf verkapseln und dadurch schützen. Hierfür kann ein Einkomponenten- oder wasserlösliches Polyurethan verwendet werden, das in Spritzgießtechnologie oder mit einer Glob-Top-Pistole aufgebracht wird. Auch der Einsatz von PU-Ringen (Dam&Fill Glob-Top) und das Aufsetzen von vorgeformten PU-Kappen mit anschließender thermischer Verklebung haben sich bewährt.
Für den Anwendungsbereich Textil/Wearables bietet sich vor dem Bestücken die Lamination auf baumwollbasierte Textilien an. CONTAG nutzt dazu die hydraulische Presse, auf der unter Temperatur und Druck das Material erweicht und in die Gewebestruktur eingearbeitet wird.
Für dauerhaft verformte Anwendungen wie Bedienkonsolen etc. kann die dehnbare TPU-Schaltung auf eine relativ starre Trägerfolie wie bespielsweise Polycarbonat (Dicke 200-300µm) auflaminiert werden, die nach dem Bestücken im Tiefziehverfahren verformt wird.



Anwendungsbeispiele




Zusammenfassung und Ausblick
Die Verwendung eines thermoplastischen, dehnbaren Substrates ermöglicht völlig neuartige Applikationen auf dem Gebiet der Conformable und Wearable Electronics.
Auf Basis eines thermoplastischen Polyurethanmaterials sind elektrische Schaltungsträger möglich, die dauerhaft verformt werden oder dynamisch belastet und gedehnt werden können.
Das elektrische Layout ist standardmäßig einlagig, aber auch doppelseitige durchkontaktierte Schaltungen und starr-dehnbare Ausführungen können realisiert werden. Im gedehnten Bereich ermöglichen mäanderförmige Leiterbahnstrukturen die Längenänderung des Substrates, die je nach Design und Aufbau bis zu 30% betragen kann.
Die CONTAG AG hat sich in diversen Forschungs- und Industrieprojekten umfangreiches Know How zu dieser innovativen Technologie erarbeitet und bietet die Prototypenfertigung auch in den firmentypischen kurzen Lieferzeiten an.


Für weitergehende technologische Fragen rund um das Thema „Dehnbare Leiterplatten“ sowie „Conformable & Wearable Electronics“ wenden Sie sich bitte an unser CONTAG-Team (Tel. 030 / 351 788 –300 oder team@contag.de).

Ausgabestand: B

Download Produkt-Info Dehnbare Leiterplatten (1,0 MB)

Artikel von Christian Ranzinger in der PLUS 2/2019 Dehnbare Leiterplatten - Stretchables (2,6 MB)